Die Arbeitsgruppe Molekulare OnkoChirurgie, eine Kooperation der Chirurgischen Universität Heidelberg mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum, untersuchte unter der Leitung von Prof. Ingrid Herr die Wirkung von Kreuzblütlern auf Tumorstammzellen.
Seit der Antike wird Kohl als Naturheilmittel gegen Bakterien, Pilze, Entzündungen und Krebs verwendet. Marcus Porcius Cato Censorius, auch Cato der Ältere genannt (234 – 149 v. Chr.), ein römischer Geschichtsschreiber, beschrieb, dass roher Kohl mit Essig versetzt oder gekocht mit Öl alle Krankheiten verbannt und heilt, „vom Kater nach übermäßigem Weinkonsum bis hin zu ernsthaften Erkrankungen wie Krebs.” Er schrieb: „Bei einem krebsartigen Geschwür der Brust, behandle die Brust mit einem zerquetschten Kohlblatt und es wird wieder heilen“. Diese uralten Überlieferungen werden heute noch in der Naturheilkunde genutzt.
Während des Zweiten Weltkrieges legten Ärzte Sauerkraut oder zerstoßene Kohlblätter direkt auf Abszesse, eiternde Wunden oder Frostbeulen, weil Medikamente Mangelware waren. Kohlauflagen wirkten schmerzlindernd und entzündungshemmend und werden daher auch heute noch bei rheumatischen Beschwerden, Gicht, Gelenkentzündung, aber auch bei Rückenschmerzen und Hexenschuss angewendet. Eine Kohlmahlzeit, Radieschen, Rettich oder Sauerkrautsaft lindern Sodbrennen, Magenschleimhautentzündung, Zwölffingerdarm- und Magengeschwüre, senken hohen Blutdruck, und vermindern Übergewicht, Diabetes und Entzündungen. Gartenkresse soll den Blutzuckerspiegel senken und Senf wirkt verdauungsanregend und fördert in Form eines Senfpflasters die Durchblutung.
Die therapeutische Wirkung von Senfölen
Brokkoli, Blumenkohl und alle weiteren Kohlsorten, sowie Rettich, Meerrettich, Radieschen, Kresse, Rucola und Senf sind Kreuzblütler, deren wirksame Substanzen weitestgehend isoliert sind. Über 150 verschiedene Senfölglykoside sind bekannt, die in unterschiedlichen Mengen bei den zahlreichen Vertretern der Kreuzblütler vorkommen. Senföle machen den scharfen Geschmack von Rettich, Meerrettich und Senf oder den teilweise bitteren Geschmack verschiedener Kohlsorten aus.
Der typische Geschmack entsteht, wenn die Vorläuferkomponenten der Senföle, die sogenannten Glukosinolate, mit dem Enzym Myrosinase in Kontakt kommen. Diese werden räumlich getrennt in der Pflanzenzelle gespeichert. Erst wenn die Pflanzenzelle verletzt wird, z. B. durch Beißen, Kauen, Zerschneiden oder Lebensmittelverarbeitung, kommen die zwei Komponenten zusammen und das Senföl entsteht. Viele pflanzenfressende Tiere, aber auch Viren, Bakterien und Pilze erleiden durch eine Kohlmahlzeit eine Vergiftung oder sterben daran.
Für den Menschen dagegen stellt diese Pflanzenfamilie in haushaltsüblichen Mengen genossen keine Gefahr dar, sondern besitzt eine gesundheitsfördernde Wirkung. Experimentelle Studien belegen beispielsweise die infekthemmenden Eigenschaften von Meerrettich, Kapuziner- und Brunnenkresse, welche auch Viren, Pilze und Bakterien angreifen. Diese experimentellen Daten waren die Grundlage zur Herstellung von Phytotherapeutika aus Kapuzinerkresse und/oder Meerrettich (z. B. Angocin® Anti-Infekt N, Cressana®, Kapuzinerkresse Tabletten, Meerrettich-Saft). Diese werden zur Infektabwehr und Behandlung von akuten entzündlichen Erkrankungen der Bronchien, Nebenhöhlen und ableitenden Harnwege empfohlen. Es darf sogar auf eine krebsvorbeugende Wirkung der Phenylethyl-Senföle von Meerrettich und Brunnenkresse spekuliert werden, obwohl eine antikarzinogene Wirkung bislang nur im Mausmodell bewiesen ist.
Epidemiologische Studien und Kreuzblütler
In der Tat weisen Ergebnisse zahlreicher epidemiologischer Studien darauf hin, dass Gemüse der Kreuzblütler ein hohes Präventionspotential besitzt. In 87 Studien, bei denen man Ernährungsgewohnheiten großer Bevölkerungspopulationen mit dem Krebsrisiko verglichen hat, zeigt die Mehrheit von 67 % ein verringertes Risiko für viele Tumorarten nach häufigem Verzehr von Gemüse der Kreuzblütlerfamilie. Die entsprechenden Prozentzahlen für Kohl, Blumenkohl, Brokkoli und Rosenkohl waren 70, 67, 56 und 29%. Die Assoziationen waren am konsistentesten für maligne Tumoren der Lunge, des Magens, Darms und Rektums und am wenigsten konsistent für Prostata, Endometrium und Ovar.
Desweiteren fand eine systematische Literaturübersicht des WCRF/AICR eine Tendenz für einen häufigen Verzehr von Kohl und einem geringeren Risiko an einem Pankreaskarzinom zu erkranken. Darüber hinaus zeigen zwei gut kontrollierte Studien bei Patienten mit einem Prostatakarzinom eine Hemmung der Metastasierung durch den Verzehr von drei Mahlzeiten Blumenkohl oder Brokkoli wöchentlich, wobei fünf Portionen/Woche stärker wirkten. Interessanterweise besteht eine individuelle Variation in der Bioverfügbarkeit von Senfölen, welche auf genetisch bedingte unterschiedliche Aktivitäten der Glutathion S‑Transferase-Enzyme zurückgeführt wird. Bei Individuen mit weniger Enzymaktivität werden die Senföle schlechter an Glutathion gebunden und daher langsamer ausgeschieden, was zu einer längeren Bioverfügbarkeit und einem größeren therapeutischen Potential führt.
Sulforaphan – das am besten beschriebene Senföl gegen Krebs
Sulforaphan ist inzwischen hinsichtlich seiner therapeutischen Wirksamkeit das am besten untersuchte Senföl und kommt in besonders hoher Konzentration in Brokkoli und seinen Sprossen vor. Es besitzt anti-mikrobielle Wirkung und hat anti-oxidative Eigenschaften, weil es den Gluthathion-Spiegelerhöht.
Dadurch trägt Sulforaphan zur Entgiftung bei und verhindert die Bildung von Karzinogen-induzierten DNA-Addukten. Diese werden beispielsweise durch heterozyklische Amine hervorgerufen, die beim Grillen, Braten, Frittieren und Backen entstehen. Vielerlei experimentelle Laboruntersuchungen und Studien in Tieren zeigen eine schützende und therapeutische Wirkung von Sulforaphan bei verschiedenen Tumorarten. Sulforaphan induziert den programmierten Zelltod, inhibiert die Zellteilung und reduziert die Angiogenese/Gefäßbildung. Außerdem reduziert Sulforaphan die Aktivität des übergeordneten Entzündungsmediators NF‑B und hemmt damit Entzündungsprozesse und die Tumorprogression.
Neueste experimentelle Studien weisen darauf hin, dass Sulforaphan sogar die besonders therapieresistenten Krebsstammzellen angreift und dadurch verschiedenste Arten von Chemotherapeutika wieder wirksamer macht. Dies wurde bisher an experimentellen Modellen des Pankreas‑, Mamma- und Prostatakarzinoms gezeigt.
Sulforaphan in Brokkoli macht resistente Tumorstammzellen in Pankreastumoren verwundbar
Rund 12.650 Menschen erkranken jährlich in Deutschland an einem Pankreaskarzinom, einem äußerst aggressiven Tumor der Bauchspeicheldrüse. Häufig wird die Erkrankung erst spät bemerkt. Nur wenige Patienten überleben die Diagnose länger als ein Jahr. Das Pankreaskarzinom breitet sich aggressiv aus, setzt Absiedlungen in anderen Organen und ist gegenüber gängigen Therapien weitgehend unempfindlich. Verantwortlich dafür sind vermutlich sogenannte Krebsstammzellen, die sich sehr gut regenerieren können und daher gegen Medikamente und Bestrahlung resistent sind.
„In anderen Tumor sind in der Regel weniger als drei Prozent der Krebszellen Tumorstammzellen. Das Pankreaskarzinomen beherbergt dagegen 10 Prozent und mehr solcher aggressiven Zellen“, so Prof. Herr. Die Wissenschaftler stellten fest, dass selbst neuartige und bei anderen Tumoren wirksame Krebsmedikamente nichts gegen die Tumorstammzellen in Pankreaskarzinomen ausrichten konnten: Die Zellen schützen sich mit einem speziellen Mechanismus, dem NF-kB-Signalweg, der an der ausgeprägten Therapieresistenz des Pankreaskarzinoms beteiligt zu sein scheint.
Pankreaskarzinom wird für Therapie empfänglich gemacht
Wirkstoffe, die genau diesen Signalweg blockieren und damit die gefährlichen Zellen verletzlich machen, liefert die Natur: Gemüse aus der Familie der Kreuzblütler wie Brokkoli, Blumenkohl, Rosenkohl oder Grünkohl haben einen hohen Gehalt an Sulforaphan, einem Wirkstoff gegen Krebs. Es schützt Körperzellen vor Schäden im Erbgut und leitet den Zelltod ein, wenn Zellen sich unkontrolliert teilen. Broccoli hat von allen diesen Gemüsearten den höchsten Sulforaphan-Gehalt.
Versuche mit Zellkulturen, Mäusen und frisch isolierten Tumorzellen von Patienten zeigten: Sulforaphan hemmte die Blutgefäßbildung im Tumor und das Tumorwachstum, ohne dabei Nebenwirkungen zu verursachen. In Kombination mit Krebsmedikamenten verstärkte sich dieser Effekt noch. „Bereits im letzten Jahr zeigte eine groß angelegte kanadische Studie mit 1338 Patienten mit einem Prostatakarzinom, dass ein hoher Verzehr von Brokkoli und auch Blumenkohl die Patienten vor der Metastasierung des Tumors schützen konnte“, sagt Professor Herr.
Sulforaphan – wieviel Brokkoli ist nötig?
Die Onkologie kennt Brokkoli als Geheimtipp seit 1985 – mit steigender Tendenz bis heute. Ausschlaggebend war die Darmkrebserkrankung des ehemaligen US-Präsidenten Ronald Reagan und die von seinen Leibärzten verordnete Brokkoli-Kur. Immerhin überlebte er damit die Diagnose 19 Jahre. Man führt dies auf die Wirkung des Isothiozyanats Sulforaphan zurück, das in Brokkoli aus der inaktiven Vorläufersubstanz Glucoraphanin gebildet wird.
In experimentellen Studien konnten 4,4 mg/kg/Tag Sulforaphan das Wachstum humaner Pankreaskarzinom-Xenografts auf Mäusen hemmen. Nach Normalisierung basierend auf der Körper-Oberflächen-Methode entspricht dies einer Menge von 0,36 mg/kg/Tag beim Mensch. Hochgerechnet auf einen Durchschnittsmenschen wären dies 25 mg Sulforaphan/70 kg Körpergewicht/Tag.
Patienten fragen sich nun, wie viel Kreuzblütler-Gemüse denn verzehrt werden sollte, um eine solche Konzentration zu erreichen. Die Beantwortung ist schwierig, weil die Konzentration von Glukoraphanin zwischen verschiedenen Kohlgemüsen und selbst zwischen der gleichen Sorte stark variiert.
Entscheidend ist die Zubereitung
Wichtig zum Erhalt des Sulforaphan Gehaltes in Brokkoli und Kohl ist die Zubereitungsform. Blanchieren und Kochen zerstört die Myrosinase im Gemüse. Daher hängt die Umwandlung von Glukoraphanin zum aktiven Sulforaphan bei gekochtem Brokkoli von der Thioglukosidase-Aktivität der Darmflora ab. Diese ist jedoch durch westliche Ernährungsformen (zuviel Fett, Industriezucker, Weißmehlprodukte, Fleisch und Wurst), entzündliche Darmerkrankungen, Antibiotika und Chemotherapie bei vielen Menschen mehr oder weniger stark angegriffen. Dies bedeutet Sulforaphan ist nicht bioverfügbar, da Glukoraphanin im Körper nicht in Sulforaphan umgesetzt werden kann. Daher wird empfohlen, den Brokkoli roh zu essen und gut zu kauen, damit Glukoraphanin und Myrosinase aus der Pflanzenzelle freigesetzt werden, miteinander reagieren und Sulforaphan bilden.
Um einen möglichst hohen Glukoraphanin-Gehalt beim Erhitzen des Gemüses zu erhalten, sollten die Röschen und die geschälten Stiele vor dem Kochen möglichst klein geschnitten werden um dadurch die Garzeit zu verringern, die nicht länger als 5 Minuten betragen soll. Das Zubereiten in der Mikrowelle zerstört sehr schnell das Glukoraphanin und Sulforaphan. Beim Kochen oder dämpfen sollte die Menge des Kochwassers reduziert werden, da die wasserlöslichen Glukosinolate ausgeschwemmt werden. Die Inhaltsstoffe bleiben allerdings verfügbar, wenn das Kochwasser Grundlage zur Zubereitung von Saucen oder Suppen ist.
Brokkolisprossen in Patientenstudien
Um Aufschluss über eine therapeutisch wirksame Dosis zu bekommen, wurden Brokkolisprossen bereits in Patientenstudien getestet. Eine dieser Studien untersuchte den täglichen Verzehr von 70 g Brokkolisprossen über acht Wochen an 48 Patienten mit Helicobacter pylori – 70 g Sprossen enthalten Sulforaphan in einer Menge, die etwa zwei bis drei Portionen Brokkoli täglich äquivalent ist.
Vier und acht Wochen später wies die Testgruppe, nicht aber die ontrollgruppe mit Alfalfasprossen, eine signifikant geringere Menge an Markern für Helicobacter pylori im Atem und Stuhl auf und die Gastritis hatte sich gebessert. Nach Beendigung der Studie kehrten leider alle Marker auf die Höhe der Ursprungswerte zurück, was darauf hindeutet, dass der Helicobacter pylori-Befall durch die verwendete Menge an Brokkoli-Sprossen zwar unterdrückt, jedoch nicht geheilt werden konnte.
Weiterführende Artikel
- Sulforaphane, a dietary component of broccoli/broccoli sprouts, inhibits breast cancer stem cells
https://aacrjournals.org/clincancerres/article/16/9/2580/76213/Sulforaphane-a-Dietary-Component-of-Broccoli - Synergistic Activity of Sorafenib and Sulforaphane Abolishes Pancreatic Cancer Stem Cell Characteristics
https://aacrjournals.org/cancerres/article/70/12/5004/559497/Synergistic-Activity-of-Sorafenib-and-Sulforaphane